Neue Wohnung

Endlich geschafft. Nach einem Monat Suche und unzähligen Wohnungsbesichtigungen habe ich ein Apartment gefunden. 54m² in einem Wohnblock im 7. Stock (In Japan ist der 1. Stock das Erdgeschoss) für 96,100¥ kalt. Die Wohnung wurde erst kürzlich renoviert und macht daher einen guten Eindruck, nur das Haus ist bereits 27 Jahre alt. Das merkt man etwa an den Aluminiumfenstern und an den Gasanschlüssen zum betreiben von kleinen Gasöfen, die früher in Japan zum Heizen genutzt wurden. Zum Kochen und Wasser heizen wird auch noch Gas verwendet. Die gewünschte Wassertemperatur wird an Panels in der Küche und im Bad eingestellt. Auf Wunsch füllt sich die Badewanne automatisch mit heißem Wasser und hält auch die Temperatur. In der Nähe meiner Wohnung befindet sich der Tsurumi Ryokuchi Park (Google Maps), der sich gut zum Laufen eignet. Ich nehme nach wie vor die selbe Bahnlinie zur Arbeit, nicht bedacht habe ich jedoch, dass an meiner Haltestelle nur die Local Züge halten. Das bedeutet eine schlechtere Verbindung (natürlich im Vergleich zu Bingen immer noch super) und zur Rush Hour manchmal extrem volle Züge.
Nach dem Umzug mussten erstmal die wichtigsten Einrichtungsgegenstände her: Bett, Waschmaschine, Kühlschrank und zweite Klimaanlage. Besonders schwierig war es eine ordentliche Waschmaschine zu bekommen. Typischerweise waschen die nämlich noch mit kaltem Wasser. Wenn man eine haben möchte, die auch heizt, landet man schnell bei den teuren Topmodellen von Panasonic, Sharp und Hitachi. Immerhin können die dann auch trocknen. Marken, wie Bosch, Miele, Samsung oder LG, die bei uns bekannt sind, sucht man in Japan vergebens. Dabei gibt es hier doch Miele Staubsauger! Ich habe mich dann für eine Panasonic entschieden. Garantie gibt es oft nur 1 Jahr. Es ist aber durchaus möglich die Preise zu verhandeln. Leider nicht bei Geräten von Panasonic. 10% Rabatt oder Internetpreise sind durchaus drin. Durch den Vertragsabschluss von Glasfaserinternet bekam ich einen Rabatt von 50,000¥. Trotz der vielen Mietparteien ist das Internet hier mit etwa 800Mbit/s down und 300Mbit/s up sehr schnell.

Gerne wird auch eine Garantieverlängerung ausgehandelt. In dem Zuge habe ich auch gleich einen neuen Begriff gelernt: Anshin (安心). Das bedeutet so viel wie “peace of mind” und scheint hier sehr wichtig zu sein und erstreckt sich anscheinend in alle Lebensbereiche. Das Ziel ist, sich um möglichst wenig Dinge sorgen zu müssen. Generell scheinen Japaner noch mehr Angst vor allem mögliche zu haben als Deutsche. Apartments werden mit einem “auto lock” Feature im Eingangsbereich beworben, was die Eingangstür automatisch abschließt damit der Zugang zum Haus für Leute, die dort nicht wohnen, erschwert wird. Schulgelände kann man in der Regel nicht betreten und der Eingang ist mit einem Wachposten besetzt um die Kinder zu schützen. Das klingt für mich absurd, gilt Japan doch als eines der sichersten Länder weltweit. Laut meinen Arbeitskollegen haben viele Japaner Angst ins Ausland zu reisen, weil sie dort eventuell nicht zurechtkommen oder ihnen etwas passiert.
Wovor offensichtlich alle in Japan, ähnlich wie in Deutschland, noch mehr Angst haben, ist Veränderung. Kontaktloses Bezahlen mit NFC hat sich hier nicht durchgesetzt. Kredit- und Debitkarten werden oft als unsicher wahrgenommen. Bezahlt wird deshalb umständlich mit einer App namens PayPay, wo entweder der Shop oder der Kunde einen Barcode scannen muss. Ähnlich sieht es bei den Coronamaßnahmen aus. Es gib schon seit einiger Zeit keine Verpflichtung zum Tragen von Masken mehr aber dennoch fühlen sich viele ohne Maske zu unsicher. In vollgepackten U-Bahnen kann ich das ja verstehen aber doch nicht im Freien.
Elektroautos gibt es hier in der Stadt fast keine, angeblich weil die Infrastruktur fehlt. Dann schafft sie doch! Mittlerweile habe ich immerhin Werbung für besser gedämmte Häuser gesehen aber die meisten Wohnhäuser hier haben Einfachverglasung. Für mich einfach unverständlich, da es im Sommer so heiß und feucht wird, dass man die Wohnungen mit Klimaanlagen kühlen muss. Und wieso gibt es keine effizienten zentralen Heizungssysteme? Jeder hat noch seine eigene Gastherme oder heizt Wasser mit Strom. Das gleiche mit Photovoltaik oder Solarthermie. Ist auf fast keinem Haus installiert obwohl Sonnentage reichlich vorhanden sind.
Mangelnder Fortschrittswillen zeigt sich auch in der Verwaltung. Hier wird das meiste noch mit Formularen erledigt. Immerhin kann man manche Zertifikate bereits in Convenience Stores ausdrucken. Dazu benötigt wird jedoch die “My Number” Karte, deren Verwendung von vielen Japanern aber kritisch gesehen wird. Wahrscheinlich steckt da wieder eine irrationale Angst hinter. Skandale um die schlechte technische Umsetzung (hallo Gematik, beA, ePA und eRezept) helfen bei der Akzeptanz ebenfalls nicht.
Sehr ineffizient ist das Ablesen der Wasser-, Gas und Stromzähler. Einmal im Monat kommt ein Mitarbeiter des jeweiligen Versorgungsunternehmens vorbei und liest den Zähler ab. Der Mieter bekommt dann einen Brief mit den Kosten. Lustigerweise kann man mit diesem Brief in Convenience Stores bezahlen. Man kann sich auch online für eine automatische Zahlung anmelden. Das ist für jemanden mit westlichen und auch noch doppelten Vornamen wie mich eine Tortur da die Onlineformulare auf Kanji ausgelegt sind und der Name in Katakana ab und zu exakt mit dem bei der Bank hinterlegten Namen übereinstimmen muss. Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass meine Konto unter meinem kompletten Namen läuft bei der Überprüfung aber mein zweiter Vorname weggelassen wird. Bei Bankgeschäften wird übrigens nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung der Kana unterschieden. イェンス ist also gleich イエンス.
Ich könnte wahrscheinlich weitere Beispiele nennen, bekomme aber jetzt schon schlechte Laune. Deshalb zu etwas erfreulichen:

Feste. Vom 1. bis zum 7. Mai war Golden Week. Mittwoch bis Freitag war wegen nationalen Feiertagen frei. Mit zwei Brückentagen hat man so eine Woche Urlaub. Im Tsurumi Ryokuchi Park gab es einige Veranstaltungen, z.B. ein Food Festival mit Gerichten aus ganz Japan. Schön finde ich den Kindertag “Kodomo no Hi” (こどもの日). An dem Tag werden Stangen mit Karpfenfahnen, die Koinobori (鯉のぼり), aufgestellt. Leider konnte ich die Golden Week nicht so richtig genießen, da oft Lieferungen und Handwerkerbesuche anstanden.
Interessant war das “Frühlingsfest”. Ja, das heißt auch in Japan so. Dort wurde deutsches Bier ausgeschenkt und Currywurst und andere deutsche Spezialitäten serviert. Selbstverständlich total überteuert. Später im Jahr wird es dann auch ein Oktoberfest geben.
Direkt vor unserem Büro findet noch bis heute das “Belgium Beer Weekend” statt. 54 Biere stehen zur Wahl. Es wird sich ja oft über Belgische Biere lustig gemacht aber ich fand die ganz okay und nicht so langweilig wie die nach dem Deutschen Reinheitsgebot gebrauten.

Nach und nach wir mir auch klarer wie wichtig das Fahrrad hier als Fortbewegungsmittel ist. Auf dem Grundstück des Gebäudekomplexes wo ich wohne gibt es etliche Schuppen zum Unterstellen von Fahrrädern, die alle voll sind. In der Stadt verteilt findet man unzählige Fahrradparkplätze. Sogar Supermärkte haben eher einen Bereich zum Abstellen von Fahrrädern als für Autos. Die E-Bikes sind aber bei weitem nicht so schön wie die in Deutschland.

Ich habe es auch endlich geschafft das ehemals höchste Haus Japans (ausgenommen sind Türme), das Abeno Harukas, zu besichtigen. Die Aussicht ist natürlich super aber deutlich schöner finde ich das Umeda Sky Building. Auf dem Gebäude in Umeda wird die Sicht nicht durch fettige Glasscheiben versperrt und bei meinem letzten Urlaub in Osaka war das Gedränge dort auch nicht so schlimm. Bilder gibt es weiter unten.

Natürlich könnte ich noch viel mehr schreiben aber zum einen werden so lange Berichte bestimmt schnell langweilig und ich sitze schon viel zu lange an dem Text statt das schöne Wetter zu genießen.


Comments

  1. Tung Tran says:

    die Landschaft ist wirklich sehr schön. Mir ist überrasch dass es so kompliziert bei der Bank und Hausverwaltung war. Aber ich hoffe dass die Wohnung dir gefällt 🙂

    安心 bedeutet wörtlich auf Deutsch ruhendes Herz. diesen Begriff gibt es weit verbreitet nicht nur in Japan sondern auch in China, Vietnam und Korea. Es ist wegen der Einfluss von Zen Buddhismus. Mit der Zeit kannst du auch den Einfluss von Zen Buddismus auf tägliches Leben in Japan spüren.

    Ich freue mich auf nächste Update von dir

    1. Jens says:

      Naja, die Landschaft sind ja nur Parks. 😀
      Mal sehen, ob ich auch irgendwann tiefenentspannt bin. Die Verwaltung hat die Digitalisierung wie in Deutschland die letzten 20 Jahre einfach verschlafen. Aber warum das Banken- und Bezahlsystem so schlecht ist, weiß ich nicht.

  2. Thomas Nickel says:

    Herzlichen Glückwunsch zur neuen Wohnung! Ganz tolle Bilder, habe heute zum ersten Mal reingeschaut. Und sehr interessant, Deine Schilderungen. Bin ebenfalls schon gespannt auf den nächsten Eintrag.

    1. Jens says:

      Vielleicht kommt mein nächster Post schon früher. Ich besitze jetzt einen japanischen Führerschein. Den zu bekommen war auch ein kleines Abenteurer.

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